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Schirmschläge

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Der Winter hält an, meine Damen und Herren, aber die Ferien- und Feiertagssaison ist erstmal vorbei, und das heisst: Städte, wie zum Beispiel Zürich, sind wieder voller Menschen (wenigstens bis zu den Sportferien). Und dies, geschätzte Leserschaft, nehme ich zum Anlass, mich heute mit der archaischsten Form der menschlichen Fortbewegung zu befassen: dem Zu-Fuss-gehen. Weil ich neulich nämlich wieder einmal beinahe wahnsinnig geworden wäre, als ich es eilig hatte und auf der Zürcher Bahnhofstrasse am frühen Abend, wenn dort die Menschenmassen wogen, eingepfercht lief hinter einer breiten Dame mit junonischen Schultern und Hüften, deren schwerer Zickzack-Kurs Überholen unmöglich machte und die zudem beim Laufen die Füsse nicht hob. Es ist nun aber sehr wichtig, dass man ordentlich läuft. Alsbald glaubte ich, nichts anderes mehr zu hören als das Schlurfen der Füsse des Hünenweibs auf dem Trottoir. Es klang, wie wenn der Wind in schlaffe Segel fährt und sie flattern macht. Viele Menschen sind sich offenbar der Tatsache gar nicht bewusst, dass aufrechter Gang und kontrollierter Fusssatz viel mehr als die Kleidung das Erscheinungsbild bestimmen. Oder, wie meine Tante Kitty immer zu sagen pflegt: Haltung ist die halbe Figur.

Für das fussgängerische Fortkommen ist freilich eher die Zielstrebigkeit (auch sonst keine schlechte Eigenschaft) relevant. Wer seiner Musse nachgehen will, mag dies selbstverständlich tun. Das ändert aber nichts an der Richtigkeit der Worte von Brooke Astor, jener letzten Königin der New Yorker Gesellschaft, die für die Fortbewegung per Pedes im öffentlichen Raum empfahl: Choose a path and stick to it! Entscheide dich für einen Weg und bleib dabei – wie wahr! Besonders gefährlich sind schliesslich jene irrlichternden Traumwandler, die womöglich noch Stock oder Schirm einem Speer gleich unterm Arm geklemmt tragen und/oder auf dem Rücken einen mehrstöckigen Monsterrucksack, dessen Basis aussieht, als würde sie sich abkoppeln, wenn das Ganze in die Erdumlaufbahn eintritt. Und die so, oft ohne Notiz davon zu nehmen, eine Schneise der Verwüstung hinter sich herziehen. Und, da wir den Regenschirm erwähnten: Das Ganze wird noch schlimmer, wenn es, wie in diesen Tagen häufiger, schneit oder regnet. Vielleicht bin ich nicht aufgeschlossen genug (und ich bin für Erklärungen gerne zugänglich), aber ich verstehe einfach nicht, wieso Leute, die ohnehin schon einen Regenschirm dabei haben, mit besagtem (aufgespanntem!) Schirm dann auch noch unter Vordächern und Markisen laufen müssen, welcher Pfad doch eigentlich ganz selbstverständlich bei Niederschlägen jenen Menschen vorbehalten bleiben sollte, die, aus welchen Gründen auch immer, keinen Schirm mit sich führen. Right?

Das Ganze erinnert mich daran, wie vor knapp zwei Jahren der Chef der Zürcher Verkehrsplanung, ein Herr namens Fellmann, in einem Artikel der «New York Times», der die autofeindliche Verkehrsideologie des Zürcher Stadtrats zum Inhalt hatte, mit den Worten zitiert wurde, dass ein Autobenutzer 115 Kubikmeter urbanen Raumes beanspruche, ein Fussgänger hingegen nur drei. Das sei unfair. Nun. Bei seiner Kalkulation des mutmasslichen Raumverbrauchs scheint der gute Herr Fellmann, was die Automobilisten angeht, offensichtlich von den SUV-Panzern der realen Hausfrauen des Zürichbergs ausgegangen zu sein, während er bei den Fussgängern leider den Raumverbrauch jener Mitmenschen unterschlug, die ihren Regenschirm aufspannen. Auch da, wo es nicht nötig ist.


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